Jennifer Soldner
Obwohl viele Artikel so reden, habe ich die radikale These, dass Empathen keine Narzissten anziehen. Menschen mit schwachen Grenzen tun dies.
Ich weiß. Es gibt einen Haufen Artikel, die viele Gründe aufführen, warum Empathen und Hochsensible Menschen (HSPler) Magneten für Menschen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung seien, und viele Argumente machen auch Sinn. Die, die Opfer narzisstischen Missbrauchs sind, empfinden großen Trost darin, sehen ihr Leben darin ausgedrückt und fühlen sich in ihren Erfahrungen bestätigt. Ich finde es gut, dass viele Empathen und HSPler auf diese Artikel kommen und sie nutzen, um sich selbst gegen den missbrauchenden Zyklus zu stärken.
Aber die interessante Seite daran ist, dass diese Artikel nur die Hälfte der Wahrheit ausdrücken. Sie verleiten, uns zu glauben, dass wir als Empathen und HSPler bis an die Ende unserer Tage für toxische Menschen bestimmt seien. Aber das ist nicht wahr. Diese Artikel halten uns in dem tiefen Glauben, in der Gnade toxischer Beziehungen zu verharren und dass wir keine Kontrolle hätten.
Narzissten machen Beute auf Menschen mit schwachen Grenzen. Sie sind auf der Jagd nach denen, die, ohne nachzufragen, geben und geben. Sie sind auf der Pirsch nach Menschen, die sie mit Schuld und emotionaler Manipulation kontrollieren können.
Und obwohl viele dieser Menschen Empathen sind, ist es nicht ihre Empathie, die sie zum Opfer macht.
Einer meiner Freundinnen ging in ihrem Leben durch den ganzen Zirkel, Narzissten anzuziehen. Immer und immer wieder tauchten sie auf, als ob sie sie im Schlaf sammeln würde. Sie arbeitet sich da immer noch raus und macht langsam Fortschritte. Aber sie ist weder eine Empathin noch ein HSPler. Sie hat einfach nie gelernt, Grenzen zu setzen.
Meine Schwester ist die unempathischste Person, die ich kenne. Sie kann niemanden erzählen, was sie aufregt, wenn ihr die Tränen die Backen runter laufen. Und immer noch zieht sie Narzissten von allen Seiten an, und so war es immer. Sie erkennen sie quer durch den Raum und riechen sie wie der Hai das Blut. Sie ist kein Empath, aber wir sind von einem missbrauchenden Narzissten erzogen worden, der uns verbot, Grenzen zu ziehen.
Ich habe auch eine andere Person in meinem Leben, die mir sehr nahe steht. Er ist ein Empath und ein INFJ-Person (introversion, intuition, feeling, judging – Introversion, Intuition, Gefühl, Urteilskraft) . Er ist in einem liebevollen, gesunden Umfeld groß geworden und hat ein gutes Selbstbewusstsein für sich selbst. Er nimmt die Energien anderer wahr und bewirkt in ihm einen hohen Grad an Sensibilität. Aber er weiß, wer er ist. Das Niveau seiner persönlichen Grenzen hält mich in Ehrfurcht, immer wenn wir reden. Er ist ein Empath und zog nie Narzissten an. Sie tauchten in seinem Leben für einen Moment auf, wie sie es immer tun, und er ist freundlich zu ihnen, gefestigt in seinen Grenzen. Sie bleiben nie kleben.
Ein Empath kann starke Grenzen haben. Empathen können für sich einstehen, ihre Grenzen kennen und wissen, wenn sie manipuliert und ausgenutzt werden, dass sie dies ohne Schuld beenden können.
Ja, Empathen können Narzissten anziehen, aber nicht weil sie Empathen sind, eher weil sie eine Stärkung ihrer Grenzen brauchen. Bedenke, wie erstaunlich das ist!
Erwäge diese zwei Aussagen:
Empathen ziehen Narzissten an. Diese Behauptung beinhaltet, das einer der besten Seiten von dir für immer bestimmt, ist Toxisches anzuziehen, egal was du tust. Du kannst deine Fähigkeiten nicht los werden und so würdest du für immer ein Opfer des narzisstischen Spiels bleiben.
Menschen mit schwachen Grenzen ziehen Narzissten an. Diese Behauptung lässt dich wahrnehmen, dass du die komplette Kontrolle hast und dass nichts falsch mit dir ist. Es ist nicht anders, als zu erkennen, dass du keine Ahnung hast, wie du den Checker spielen kannst, aber dass es gut ist, dies innerhalb deiner Kontrolle zu lernen.
Wenn du ein Empath bist und Schwierigkeiten mit schwachen Grenzen hast, ist es gut, sich selbst nicht zu beschuldigen. Du bist ein Leben lang darauf konditioniert worden, solche schwachen Grenzen zu haben, aber jetzt als unabhängiger Erwachsener, kannst du Grenzen schaffen. Und wenn du es einmal getan hast, werden Narzissten nicht mehr auf deinem Radar erscheinen, weil sie nichts mehr zur Sache tun.
Grenzen sind jeder Zeit in deinem Leben erwerbbar. Es gibt eine Kiste mit Handwerkszeug, die du erlernen und ausprobieren kannst. Sei geduldig mit dir und baue sie auf. Genieße jeden Augenblick deines Wachstums, wenn du aus der Angst unkontrollierter Zustände wieder die Kontrolle über dein Leben zurück erlangst. Immer wenn du einen Artikel liest, der sagt, dass Empathen Narzissten anziehen, ummantele es und gebe diese Worte zusätzlich dazu: Empathen “ohne Grenzen” ziehen Narzissten an. Schau, wie sich dann die ganze Bedeutung wandelt.
http://www.jennifersoldner.com/2017/02/empath-dont-attract-narcissists.html
übersetzt aus dem Englischen von Emma Kober
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Robby (Montag, 16 Juli 2018 02:20)
Toller Beitrag und sehr hilfreich und nehme mir deine Worte zu Herzen ���vielen lieben Dank
Kara (Donnerstag, 16 August 2018 21:05)
Danke für diesen Beitrag. Es ist genau so, dass die "üblichen" Artikel zu dem Thema den Eindruck vermitteln, dass es für Empathen/HSP immer so sein wird, dass sie Narzissten anziehen, quasi dazu verdammt sind. Und das erzeugt ein Gefühl der Hilf- und Hoffnungslosigkeit, drängt geradezu in eine Opferrolle hinein. Schön, dass dieser Artikel deutlich macht, dass das Kernproblem woanders liegt - und dass es einen Ausweg gibt.
Schamane (Mittwoch, 29 August 2018 18:59)
Es ist leicht Empathen als Kinder zu kontrollieren und ihre Grenzen zu durchbrechen, dadurch werden sie in die Opferrolle gebracht. Wenn man die Konditionierungen durchbricht, bleiben sie nicht mehr kleben! Im Gegenteil sie machen einen Bogen um einen wenn man sie durchschaut.
Es ist ein harter Weg aber er lohnt sich! Wenn es einer schafft dann wir, die Empathen!
AnnaS (Sonntag, 09 Dezember 2018 21:08)
Also ich stimme dem Beitrag zu. Ich bin empathin und hatte zuletzt nur kurze Zeit 2 Narzissen in meinem Leben. Empathen sind emotional viel versierter und psychologisch fast immer viel weitdenkender, es ist nicht schwer einen emotionslosen Narziss zu durchschauen und sogar seine Maske auszuziehen und seine wahre Natur zu beobachten, da kommen die gar nicht mehr mit klar.
Aber man muß definitiv dazu sagen, dass ich sehr starke Grenzen habe und diese verteidige. Sie sind schnelldenker, weil bei denen keine Emotionen im Spiel sind, das ist deren einziger grosser Vorteil.
Sara (Mittwoch, 13 März 2019 22:48)
Nun, das eine muss das Andere nicht ausschließen. Es gibt Empathen (mich eingeschlossen), die das Abgrenzen erst lernen müssen. Es gibt durchaus Empathen, deren Grenzen oft überschritten wurden, da sie nie gelernt haben, angemessen Grenzen zu setzen. Spätestens im Erwachsenenalter müssen es diese Empathen erlernen, um nicht erneut Opfer von Missbrauch, ob nun emotional oder anderweitig, zu werden. Wenn sie das verinnerlicht haben, werden sie wahrscheinlich auch keine Narzissten mehr anziehen. Doch wer keine liebevolle Kindheit/Umfeld erlebte, braucht dafür Zeit. Du schreibst, dass das du das selbst kennst. Diese Erkenntnis und die Bereitschaft sich damit (dass narzisstischer Missbrauch stattfand) auseinander zu setzen, muss aber erst einmal ins Bewusstsein gelangen. Ich finde es nicht unempathisch, seine Gefühle nicht kommunizieren zu können, es benötigt allerdings manchmal Unterstützung in Form von Therapie. Denn wer jahrelang seine Gefühle unterdrücken musste, kann erst nach und nach erlernen, sich zu öffnen.