Helen R. Brown
Eine ganz neue Liga an elterlichen Verrücktheiten enthüllt Ariel Leve, ein Bündel an verletztenden Wutausbrüchen und Stimmungsschwankungen ihrer brutalen, narzisstischen und unverantwortlichen Mutter, einer bekannten Poetin und feministischen Filmemacherin der USA der 70-er Jahre.
Eine Buchrezension von Helen R. Brown:
Ariel Leve, An Abbreviated Life, 2016
(übersetzt aus dem Amerikanischen von Emma Kober)
Alle Eltern sorgen sich bis zu welchem Grade, wenn ihre Kinder der Welt die eigenen privaten Wirren offenbaren. Sie erzählen ihren LehrerInnen, dass Papi den Tee in der Toilette trinke und dass Mami den Wagen auf dem Schulweg ganz nahe an das tote Opfer gezogen hätte, um besser gucken zu können.
Aber die traumatischen, frischen Erinnerungen der Journalistin Ariel Leve lüften den Deckel einer ganz neuen Schublade von mütterlicher Verrücktheit. Obwohl Leve ihre Mutter in dem Buch als „Suzanne“ versteckt, verrät ein kurzer Google-Blick, dass es sich um die feministische Filmemacherin und Poetin Sandra Hochman handelt.
Wenn Patricia Burnstein vom People-Magazin damals das elegant ausgestattete Manhattan-Penthaus von Hochman 1976 besuchte, schien es, als würde Mutter und Tochter eine liebevolle Boheme-Idylle
leben. Hochman sprach leidenschaftlich über ihr Vertrauen in die Schwesternschaft und rief die Jahre in Erinnerung, die sie in Paris verbrachte, befreundet mit Pablo Neruda, Jean-Paul Satre,
Simone de Beauvoir und Anaïs Nin. Sie tratschte öffentlich über ihre Ex-Männer (einschließlich Ariels Vater, ein Anwalt der US-Vertretung, der nach Thailand auswanderte, als die Tochter fünf
war).
Und sie sprach von ihrer acht Jahre alten Tochter als „ihre beste Freundin und Mitbewohnerin“. Burnstein sah, dass Ariels Zimmer „angefüllt war
mir Büchern, Kuschel-Spielzeug und kleinen Gedichten, die ihre Mutter schrieb, um Tischmanieren und andere lästige Hausarbeiten schmackhafter zu machen.“ Aber zurückblickend erinnert sich Leve in
ihren Mitvierzigern, dass derselbe Raum ständig mit einer Invasion mütterlicher Freunde belagert war: „eine Zufluchtsstätte für jeden außer mir“.
Als der Feminismus zu sich fand, waren Frauen noch unsicher, ob Mutterschaft in ihr Bild passte. Nach Hochman war Kindererziehung ein Gefängnis, von dem sie sich befreit hatte, indem sie ihre
Tochter als unabhängige Erwachsene behandelte, um ihr auch von den intimen Details ihres Sexuallebens zu erzählen und sie unbekümmert in die Hände fremder Leute zu geben.
„Deine Mutter ist ein taffes Arschloch, nicht wahr Baby?“ sagte eine Frau, mit der Hochman den berühmten Film 1973 „Year of the Woman“ drehte. Zuvor übergab sie der fünfjährigen Leve noch eine
angezündete Zigarette zum Dranziehen. Nach den Beschreibungen der Tochter praktizierte Hochman nicht einmal die simpelsten Manieren, die sie in ihren kleinen Gedichten predigte. Sie war roh und
gewalttätig mit anekelnder persönlichen Körper-Hygiene, immer am Telefon, bis sie in die Hosen machte: „Sie machte eine Sch-Geste, runzelte die Stirn und presste den Finger auf den Mund, bis sie
bereit war, mit mir zu reden. Wenn sie den Telefonhörer auflegte, musste ich sie fragen, ob sie nicht ihre durchnässten Hosen mal ausziehen sollte.“
Wenn man nicht mit dieser Frau zusammen leben musste, schien dieses überschreitende Verhalten aufregend.
Die neunjährigen Schulfreunde von Leve bewunderten sie, wenn sie in die Schule kam, um Poesie-Unterricht zu geben und um dabei die Wörter wie „Vulva“ und „Hure“ zu lehren, derweil sie ohne BH Hampelmann vorführte. Sie gab einigen dieser Mädchen ein tiefes und festes Vertrauen in einer sich erhebenden Stimme dafür, auch wenn sie ihre Tochter für ihre Bitten zusammenschrie, nicht im durchsichtigen Morgenmantel auf den Straßen zu wandeln oder die Genitalien ihres letzten Liebhabers zu beschreiben.
Die Eltern ihrer Klassenkameraden waren weniger beeindruckt. Besonders nachdem sie eine Freundin nach Hause eingeladen hatte und beim Spielen das Schulkind dazu ermunterte, ins Bett zu ihrer
nackten Mutter zu steigen, um den Nachmittag mit Geburtsspielen zu bestreiten und die Mädchen aus ihrer Vagina zu pressen. „Wir hatten Varianten“, schreibt Leve, „ manchmal war die Geburt laut
und schmerzvoll. Manchmal was sie ganz problemlos….Nach dem Tag war es Danielle nie mehr erlaubt, wieder zu kommen.“
Obwohl eine Serie von Erzieherinnen für einen geregelten Tagesablauf und die Ernährung sorgten, unterlief Hochman systematisch Leves Bindung zu ihnen und bügelte das Kind mit einer Menge extremer
Emotionen nieder:
„Ich hasse dich. Ich liebe dich. Du bist ein Idiot. Ich habe das nie gesagt. Du bist die wichtigste Person in der Welt für mich. Ich wünschte, du wärst nie geboren“, war eine Beispielliste, die
sie im Laufe eines einzigen Tages erwarten konnte zu hören.
Obwohl Leve groß und eine Journalistin mit Auszeichnungen wurde und schließlich Liebe und Sicherheit fand – Sie genoss eine bemerkenswerte stabile und fruchtbare Beziehung zu den zwei Töchtern
ihres Partners – betrachtet sie ihr Erwachsensein als eine verlängerte erholende Rückgewinnungszeit. Ein Teil dieses Prozesses war es, diese außergewöhnlichen Tatsachen in diesem Buch
zusammenzutragen, nachdem sie den Kontakt zu ihrer Mutter abgebrochen hatte.
Das Buch bewirkt ein unangenehm elektrisch aufgeladenes Lesen. Man wird sich ihrer schrecklichen Schocks von Wahrheit bewusst und sie gehen durch und durch, gar bis auf die Wirkung Hochman hin,
die jetzt 80 Jahre alt sein muss. Man ist gefangen zwischen dem Lob gegenüber Leve für dieses mutige, ruhig Zeugnis und dem Gewahrwerden des Schmerzes, den es wahrscheinlich bei einer ernsthaft
verstörten älteren Frau auslösen muss.
Obwohl ich annehme, dass es möglich ist, dass Hochman immer noch ein wütender Alptraum von Narzisstin ist, damit sie Aufmerksamkeit erhält.
Alles in allem ist diese Frau so sehr selbstzentriert, dass Hochman, als Leve sie am Morgen des Unglückstages des 11. Septembers anrief, auf die Tragödie nur so reagierte: „Merkst du, das jetzt niemand zu meiner Geburtstagfeier kommen wird?“
Helen R. Brown
Quelle: https://www.spectator.co.uk/2016/07/how-i-survived-my-nightmare-upbringing-by-ariel-leve/#
Links:
http://www.ariel-leve.com/books/
https://www.theguardian.com/film/2004/apr/16/gender.usa
Kommentar schreiben